Verantwortung für die Mannigfaltigkeit

Liebe Klavierfreundinnen und -freunde,

wenn man sich einmal vor Augen führt, wie viele Komponisten in den vergangenen 300 Jahren Musik für das Tasteninstrument geschrieben haben, dann muss man schon zugestehen, dass dies ein von kaum jemandem zu überblickender Fundus an Musik ist. Mehr und mehr werden auch die Kompositionen von unbekannteren und dennoch nicht weniger interessanten Komponisten entdeckt, veröffentlicht und auch aufgeführt. Doch wenn man sich die Programme der Konzerthäuser und Festivals für Klavier genauer anschaut, dann trauen die Verantwortlichen dieser Einrichtungen dem Publikum anscheinend nichts zu. Denn es ist ein verschwindend geringer Teil des immensen Repertoires auf den Bühnen vertreten? Warum ist dies so?

Natürlich hören wir große Meisterwerke immer wieder gerne, da sie auch immer wieder neue Ansätze des Nachdenkens und Entdeckens in dieser Musik offenbaren. Gerade deshalb sind es ja zeitlose und großartige Kompositionen. Doch wenn man sie mit denen ihrer Zeitgenossen oder Nachfolger vergleicht, werden sie dadurch nicht weniger wert, sondern können eingeordnet werden. Und immer dann, wenn ich in einem Konzert ein eher unbekanntes Werk innerhalb eines klug gesponnenen Programms höre, sehe ich, dass das Publikum begeistert ist für diese neue Erfahrung, die Einordnung, das Entdecken. Wenn man nur nach Polen schaut, dann kann man neben Chopin auch Meister wie Wieniawski, Szymanowski oder Bacewicz entdecken. Warum werden diese so selten Programmiert. Oder warum wird ein Béla Bartók so selten aufgeführt. Natürlich waren dies alles Komponisten, die nach neuen Wegen suchten und zum Teil entsprechend drastisch komponierten. Aber hat das nicht auch ein Beethoven, ein Igor Strawinsky, ja zum Teil sogar ein Johann Sebastian Bach getan?

Wir leben in einem Zeitalter, in dem man immer für Neues offen zu sein scheint, da wird gestreamt, anstatt CD gehört, da wird das I-Pad ausgepackt, anstelle von gedruckten Noten und wir benutzen unser Smart-Phone für fast alles des täglichen Lebens. Aber dann geht man in einen Konzertsaal, um ein Klavier-Recital zu hören, und man will nur das tausendfach gehörte wieder hören? Ich glaube nicht daran, dass das Publikum nicht offen für Neues ist, dass es nur immer wieder die vielleicht 3 Prozent der werke, die schon seit Jahrzehnten erklingen, wieder hören will. Ich glaube, dass die Zuhörer offen sind für Neues, für neue Erfahrungen, neue Interpretationen – in einem allerdings sehr traditionellen Rahmen. Dann erhalten sie neue Eindrücke, die weit weg sind, vom alleinigen Verwalten von Repertoire, das die Hausintendanzen sich erdenken, da es einfacher ist, ein Konzert mit Chopin, Beethoven oder Brahms zu füllen, anstatt mit anderen, unbekannten Komponisten. Mag sein, dass dann ein paar Zuhörer aufgrund der unbekannten Namen nicht kommen. Aber wo kommen wir hin, wenn wir nur mehr die Verwalter von einigen wenigen Kompositionen werden, anstatt zu zeigen, wie reich das Repertoire im Bereich Klavier ist?

Alle klagen über Publikumsrückgang, aber verwundert das wirklich, wenn man bedenkt, dass die Leute auch gerne einmal etwas Neues ausprobieren, hören wollen? Irgendwann sagt doch jeder, dass er in einer Saison beispielsweise die Sonate Nr. 2 von Chopin nun schon mehrfach gehört hat und nicht unbedingt nochmals hören muss. Dann kommt er nicht ins Konzert. Es muss sich einfach einbürgern, dass wir den verantwortlichen klarmachen, dass Neues und Unbekanntes nicht schlecht sind, sondern uns erfreuen würde. Das geht aber nur, wenn man das äußert und nicht dadurch, dass man einem Konzert fernbleibt.

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