Abgewanderte Markenvielfalt

Liebe Klavierfreundinnen und -freunde,

nur wenige unter den jüngeren Klavierspielern und -liebhabern erinnern sich noch daran: früher gab es in Europa eine weit gestreute Markenvielfalt. Und dabei spreche ich nicht etwas davon, dass man vor dem Zweiten Weltkrieg auf den Konzertbühnen allerorten alle möglichen Marken finden konnte, sei es Bechstein, Blüthner, Ibach, Feurich oder Förster. Nun, in diesem Bereich hat der Krieg und die vielfache Zerstörung von Fabriken dazu geführt, dass Steinway & Sons die Vorherrschaft übernehmen konnte. Aber auch in den Jahrzenten ab 1960 hatten sich immer wieder Entrepreneure gefunden, sie es wagten althergebrachten Klavierbau aufleben zu lassen. Und selbst bis in die 1970er Jahren hinein gab es Marken, die zahlreiche Instrumente in unsere Lebensräume brachten. Seien es Marken wie die niederländische „Rippen“, die schwedische „Nordiska“, oder die finnische „Hellas“, die tschechischen Marken „Seidl“ und viele mehr. Europa war ein Pool an unterschiedlichen Konstruktionsweise, Ideen und großen wie kleinen Produktionsstätten.

Mit dem Preisdruck, der aus Asien mit Produkten zwar geringerer Qualität, aber geringeren Endverbraucherpreisen nach Europa schwappte, haben viele, gerade kleinere Unternehmen ihre Produktion eingestellt. Und um überhaupt am Markt bestehen zu können, haben viele der renommierten Klavierbaufirmen Europas preiswerte Untermarken ins Leben gerufen, die allerdings oftmals komplett oder teilweise in Asien gefertigt werden.

Etliche Markennamen allerdings findet man immer noch. Allerdings sind es oftmals nur mehr die Namen, nicht aber die ehemaligen Klavierbauschmieden, die überlebt haben. Kein Wunder, dies geschieht ja auch in anderen Bereichen, dass ehemals große und bekannte Namen ihren Wert behalten sollen und entsprechend von anderen Herstellern benutzt werden, um sich am Markt mit dem guten Klang zu positionieren. Und ganz alte Markennamen, die kaum mehr jemand kennt und die auch keinen rechtlichen Besitzer mehr haben, sind wie Freiwild für Hersteller aus China. Denn genau dort gibt es die Markenvielfalt, wie wir sie in Europa einmal hatten. Allerdings ist die Anzahl der Klavierfabriken bei weitem nicht so groß wie es den Anschein hat. Aber in einer solchen Fabrik werden dann halt entsprechend des Marktinteresses gleich Dutzende von Marken hergestellt. Einige unterscheiden sich dann in Bezug auf die Materialien, die Konstruktionen und die Gehäuse, bei anderen findet man einfach nur einen anderen Namen auf dem Vorderdeckel, wobei der Rest gleich ist.

Die Markenvielfalt ist abgewandert, nach China. In diesem Land ist das Klavier wenigstens so wichtig und interessant für die neue Bürgerschicht, wie dies in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Europa der Fall war. Entsprechend ist die Vielfalt der Marken immens, einige haben europäische (vor allem deutsche) Konstrukteure, andere sind reine Kopien von europäischen Ideen. Ist dies alles zu verurteilen? Nein, denn das Interesse am Instrument Klavier ist in China nun einmal um ein Vielfaches größer als in Europa. Da sollte man sich einmal fragen, ob das nicht auch ein Abbild unserer Gesellschaft zeigt, dass immer weniger Interesse am Thema Klavier herrscht, so dass Traditionsfabriken inklusive ihrer Namen an chinesische Unternehmen verkauft werden können.

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