Pianonews 02 / 2023

cover 01 2019

Inhalt Bestellen 6er ePaper-Abo  

Sie können diese Ausgabe auch als ePaper lesen.
Nach erfolgreicher Aktivierung können Sie das ePapers an dieser Stelle lesen oder das PDF herunterladen.

einzelne Ausgabe als ePaper aktivieren...

Musik als diplomatisches Mittel

Stephen Hough

Von: Carsten Dürer

Er ist einer der aktivsten Pianisten unserer Zeit: Der Engländer Stephen Hough spielt viele Konzerte, in aller Welt. Daneben schreibt er kontinuierlich über alles, was ihn bewegt – und über Musik. Dass er auch beständig neue Werke komponiert, wissen nur eingeweihte Kenner. In Deutschland ist er weitaus seltener anzutreffen als in anderen Ländern. Als er einige Konzerte mit dem Niederländischen Concertgebouw Orkest unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner in Amsterdam und in Essen im Januar dieses Jahres spielte, trafen wir ihn zum Gespräch.

Obwohl er am Abend zuvor noch im Concertgebouw in Amsterdam spielte und mit dem Klavierkonzert Nr. 2 von Johannes Brahms kein leichtes Programm vor ihm liegt, scheint er extrem entspannt zu sein, als wir uns in der Essener Philharmonie in seiner Künstlergarderobe zusammensetzen. Als er mich fragt, von wo ich angereist wäre und ich Düsseldorf zur Antwort gebe, erinnert er sich, dass ihn als Jugendlicher die erste Auslandsreise seines Lebens ausgerechnet nach Düsseldorf führte.

Kindheit und Ausbildung

PIANONews: Sie hatten als Kind eine etwas ungewöhnliche Jugend, denn eigentlich sind Sie in Australien geboren, oder?

Stephen Hough: Nein, mein Vater ist in Australien geboren, ich dagegen im Norden von England, in Heswall.

PIANONews: Habe ich es falsch verstanden, dass Ihre Mutter Ihren Vater zurückließ und allein nach England ging?

Stephen Hough: Nein, das war in einer anderen Generation unserer Familie. Was geschah: Meine Großeltern väterlicherseits trafen sich in Indien und gingen dann nach Australien. Sie waren in der Stahlindustrie tätig. Mein Vater wurde 1926 in Australien geboren, aber mein Großvater schickte meinen Vater wieder mit nach Indien, und sie sahen sich nie wieder. Aber seit fast eintausend Jahren ist die Familie Englisch. Australien war nur ein Geschäftsort im Leben meiner Großeltern. Es ist soeben ein Buch von mir erschienen, in dem ich all dies genauer beschreibe. Es heißt „Enough“ [Genug], und ich erzähle über meine Familie bis zu meinen 21 Lebensjahr. Ich selbst bin aber Englisch und fühle mich mit dem Norden Englands sehr verbunden, auch wenn ich heute in London lebe.

PIANONews: Besuchen Sie Ihre alte Heimat noch ab und zu?
Stephen Hough: Eigentlich nicht. Alle sind mittlerweile verstorben, meine Eltern, meine Verwandten – ja selbst meine Freunde. So ist es etwas traurig, dorthin zurückzukehren, denn es gibt diese Kindheitserinnerungen – aber es gibt keinen anderen mehr aus dieser Zeit. Allerdings spiele ich fast jedes Jahr in Manchester oder Liverpool. Dann sehe ich einige Leute, aber ich habe keine wirkliche Beziehung mehr zu dieser Gegend.

PIANONews: Sie haben mit fünf Jahren mit dem Klavierspiel begonnen. Warum ausgerechnet mit dem Klavier?

Stephen Hough: In meinem Elternhaus gab es keine Musik, keine Schallplatten, nichts. Aber ich hatte eine Tante, die ein Klavier besaß. Und dort spielte ich nach Aussage meines Vaters Akkorde. Ich erinnerte mich an einige Kinderlieder, die ich nachspielte, und als ich drei Jahre alt war, versuchte ich, meine Eltern zu überzeugen, dass ich Klavierspielen lernen will. Also kaufte mein Vater solch ein Spielzeugklavier mit einer Oktave. Das war natürlich nicht sonderlich befriedigend. Und dann kaufte meine Mutter ein großes altes deutsches Klavier, so eines mit Rosenholzfurnier und Kerzenhaltern, in einem Gebrauchtwarengeschäft. Ich liebte es und erhielt Unterrichtsstunden von einem Lehrer vor Ort.

PIANONews: Anscheinend war es ein sehr guter Lehrer, denn Sie entwickelten sich am Instrument.

Stephen Hough [lacht]: Nein, aber mein zweiter Lehrer war gut. Meine Mutter hatte einfach nur im Telefonbuch nach einem Lehrer in der Umgebung Ausschau gehalten. Nach einiger Zeit fand ich dann eine bessere Lehrerin, die mir viel beibrachte. Und nach einem Jahr bei ihr spielte ich bereits im Finale eines Wettbewerbs in London. Ich war der jüngste Teilnehmer, und gerade habe ich erfahren, dass Gerald Moore, der große Begleiter von Sängern, der der Juryvorsitzende war, sagte, dass ich ein vielversprechendes Talent wäre. Das ist natürlich sehr schön. Das war 1968/69.

PIANONews: Welcher Wettbewerb war das?

Stephen Hough: Er nannte sich „The National Junior Piano Competition“. Wir spielten damals das Finale in London im Purcell-Room im Westbank Center, der damals soeben erst gebaut war – das kommt uns heute so vor, als sei er antik – so wie ich es bin. [er lacht]

PIANONews: Dann ging es für Sie auf die Chetham’s School of Music, eine Zeit, die Sie nicht besonders mochten, richtig?

Stephen Hough: Nein, es war eine schreckliche Zeit. Ich hatte so etwas wie einen Nervenzusammenbruch, ich wollte nicht zur Schule gehen, ich hatte Angst, auf der Straße von Jugendlichen angegriffen zu werden, was dann auch irgendwann passierte. Es war eine schwierige Zeit. Diese Schule – die heute ein exzellenter Ort ist – war in einem schrecklichen Zustand. Lehrer gingen ins Gefängnis, der akademische Zustand war schrecklich. Aber ich habe es überlebt. Mein wichtigster Lehrer dort, der dann ans Northern College of Music in Manchester wechselte, riet mir, die Schule zu verlassen. Als ich 16 Jahre war und ich gerade meine Mittlere Reife hatte, ging ich ans Northern Royal College of Music. Als ich dorthin kam, veränderte sich alles. Ich wurde auf einmal der beste Student in der Schule. Ich bin sehr glücklich, auch diese Geschichte in meinem neuen Buch zu erzählen. Denn es gibt Eltern, die scheinbar schwierige jugendliche Kinder haben, die anscheinend nichts tun. Auch ich schaute jeden Tag für sechs Stunden Fernsehen, machte nichts, las nichts.

PIANONews: Sie wollen diesen Eltern also Hoffnung geben, dass es auch anders ausgehen kann, als es im ersten Moment aussieht …

Stephen Hough: Ich empfehle dies nicht, aber ich denke, dass der Geist manches Mal in unterschiedlicher Weise arbeiten kann. Es muss nicht alles gleich an jährlichen Resultaten von Prüfungen gemessen werden. Mein Lehrer Gordon Green sagte mir schon sehr früh: Es gibt so etwas wie eine kontinuierliche Entwicklung nicht. Wenn man sich in der Entwicklung befindet, bleibt man oft stehen. Dann gibt es eine Periode, in der man diese vorangegangene Entwicklung verarbeitet, und dies befähigt einen dann wieder zu einer weiteren Entwicklung. Das traf auf mich zu.

PIANONews: Als Sie dann so glücklich waren in England, warum sind Sie dann in die USA gegangen?

Stephen Hough: Ich habe ein Stipendium für ein Auslandsstudium gewonnen. Und ich hatte den Eindruck, dass ich genug mit den Lehrern in Manchester gearbeitet hatte. London wäre ein Möglichkeit gewesen, aber dorthin wollte ich eigentlich nicht gehen. Eigentlich wollte ich aus dem Land heraus. Es hätte Deutschland werden können, eine Zeitlang habe ich auch über Paris nachgedacht. Aber dann kam die Idee, in die USA zu gehen in meinen Kopf und ich dachte, dass es eine vollkommene Veränderung wäre. Also ging ich an die Juilliard School in New York 1981 und machte dort auch meinen Master-Abschluss. Nun habe ich schon selbst ein paar Studenten an dieser Hochschule.

PIANONews: An der Juilliard?

Stephen Hough: Ja.

Plötzlich erwachsen

PIANONews: Eine wirkliche Veränderung brachte dann vor allem der Gewinn des in den USA renommierten Naumburg-Wettbewerb, richtig?

Stephen Hough: Ja, ich war 21 Jahre alt und hatte gerade mein Masterstudium beendet. Und ich habe mich einfach eingeschrieben, so wie man ein Lotterielos kauft. Ich wollte eigentlich noch nicht beginnen, Konzerte zu spielen, ich hatte nicht genug Repertoire, Klavierkonzerte vorbereitet. Ich wollte weiterhin Spaß mit meinen Freunden haben, mit ihnen in Bars gehen. Mit 21 Jahren dachte ich, dass ich noch ein paar Jahre weiterstudieren und dann ernsthaft an Wettbewerben teilnehmen würde. Also: Ich nahm an diesem Wettbewerb teil – und gewann. Und plötzlich musste ich mit dem Chicago Symphony Orchestra spielen und mit dem Philadelphia Orchestra und eine CD-Einspielung vornehmen. All dies passierte und war ein ziemlicher Schock. Ich wurde über Nacht erwachsen, ich brauchte plötzlich einen Buchhalter, Manager und all diese Erwachsenendinge, nachdem ich gerade noch ein Student war. Und ich liebte es, Student zu sein. Immerhin war dies die Zeit in New York, die ich wirklich erstmals richtig von zu Hause weg war – und ich hatte viele Freunde, wir hatten viel Spaß. Und wenn ich zurückblicke und sehe wo ich heute stehe, war dies ein kontinuierlicher Fluss an Konzerten – es ist ein sehr bewegtes Leben seither.

Das gesamte Interview mit Stephen Hough lesen Sie in Ausgabe 2-2023 von PIANONews.

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.