Pianonews 01 / 2016

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Paavali Jumppanen

Die Musik gehört jedem

Von: Carsten Dürer

Den Namen des Pianisten Paavali Jumppanen kennt man hierzulande nur wenig. Allerdings zu Unrecht, da der heute 41-jährige Finne einer der Künstler ist, die mit ihrem vielseitigen Interesse und ihrer intellektuellen Art der Sicht auf bekannte Werke großartige Interpretationen hervorbringen. Momentan ist er dabei, für das Label Ondine sämtliche Klaviersonaten von Beethoven einzuspielen. Keine große Besonderheit für den CD-Markt, da es auch in den vergangenen Jahren eine Flut an Gesamteinspielungen gab. Aber eine Besonderheit von einem finnischen Pianisten in jedem Fall, der zudem auch noch ungeschnittene Direkt-Einspielungen für Berliner Meister-Schallplatten mit Beethoven eingespielt hat. Doch Beethoven ist nicht das einzige Interesse von Jumppanen. Wir trafen den sympathischen Finnen zu einem Gespräch auf einer Durchreise von Bayreuth nach Finnland in Hannover.

PIANONews: Seit kurzem sind Sie künstlerischer Leiter des seit mehr als 25 Jahren existierenden Espoo Piano Festivals. Das ist eine neue Herausforderung in Ihrem Leben und eine große Ehre, denn es handelt sich um Ihre Heimatstadt in der Region Helsinki, richtig?

Paavali Jumppanen: Ja, richtig! Wir planen sogar schon weiter, bis ins Jahr 2017. Das ist eine ganz besondere Ehre. Allerdings kenne ich die Verantwortlichen schon lange, da ich oft in diesem Festival gespielt habe. Es gab schon vor vielen Jahren Gespräche darüber, aber dann entschied ich mich, ins Ausland zu gehen. Und nun lebe ich wieder in Helsinki und bin froh über dieses Engagement.
Ausbildungsstränge

PIANONews: Grundsätzlich hat man den Eindruck, dass die musikalische Grundausbildung in Finnland besonders gut ist, da es zahllose Musikschulen gibt, die diese Ausbildung gewährleisten. Wie war das in Espoo? War es da besonders gut, da dieses Festival
existierte, das ja schon seit Langem eine Ausstrahlung ins Ausland hat? Wie war es speziell für Sie?

Paavali Jumppanen: Ich habe daran nie gedacht, aber tatsächlich scheint es so, dass die im Festival auftretenden Pianisten schon eine Auswirkung auf die Qualität des Unterrichtens dort hatten. Als das Festival 1990 begann, hatte man gerade ein neues Kulturzentrum errichtet. Und das Musik-Zentrum war im selben Gebäude untergebracht, in dem auch das Festival stattfindet – auch das Zuhause des Tapiola Symphony Orchestra. Ich war gerade 15 oder 16 Jahre alt – und plötzlich hatten wir ein lebendiges Musikleben, gerade im Bereich des Klaviers. Claudio Arrau kam, Ivo Pogorelich und andere. Auch ein Künstler wie Ralf Gothoni, der im Ausland eine große Karriere gemacht hatte, wurde durch das Espoo Piano Festival wieder nach Finnland geholt.
Aber Sie haben Recht, das Grundausbildungssystem für Musik in Finnland ist besonders stark, die mittlere Ebene und die höhere Ausbildung sind nicht schlecht, aber aufgrund der ökonomischen Schwierigkeiten gibt es in diesem Bereich auch Probleme …

PIANONews: Wie war es speziell für Sie? Hatten Sie das Gefühl, dass diese Grundausbildung Sie für einen weiteren Schritt vorbereitete?

Paavali Jumppanen: Nun, wir hatten eine Klavierlehrerin, die begeistert von Musik war und ihren Schülern sehr half, sich zu entwickeln. Aber meine Generation hatte keinen Plan, weiterzugehen. Es war einfach so, dass man Musikunterricht am Klavier hatte. Einige der Studenten haben dann weitergemacht mit der Musik, andere nicht. So wie es wohl überall der Fall ist. Die Idee meiner Klavierlehrerin war es, niemals Musiker auszubilden, sondern Musik und das Klavierspiel den Schülern nahezubringen. Und ich blieb bei derselben Klavierlehrerin, bis ich mit 17 Jahren in die Sibelius-Akademie eintrat. Ich habe selbst eine Weile Kammermusik an diesem Espoo-Musik-Zentrum gelehrt und habe dabei erfahren, dass es die Zielrichtung gibt, jedem Schüler die Musik nahezubringen. Nicht aber Spezialisten auszubilden.

PIANONews: Wann genau haben Sie mit dem Klavierspiel begonnen?

Paavali Jumppanen: Ich begann in der Suzuki-Schule, als ich fünf Jahre alt war. Zwei Jahre später wechselte ich dann ins Espoo-Musik-Zentrum.

PIANONews: Der Wechsel danach an die Sibelius-Akademie war dann eine Art von Muss für jemanden, der weiterkommen will in Finnland, richtig?

Paavali Jumppanen: Das war wirklich ziemlich klar vorgezeichnet. Es war eigentlich das einzige Institut für die Instrumentalausbildung auf einer professionellen Ebene.

PIANONews: Bei wem haben Sie dort studiert?

Paavali Jumppanen: Meine Lehrerin war Margit Rahkonen. Seit 2015 unterrichte ich als Gastprofessor ebenfalls an der Sibelius-Akademie, so dass ich nun wieder intensiven Kontakt zu ihr habe.

PIANONews: Dort sind Sie weitere fünf Jahre geblieben …

Paavali Jumppanen: Nein, bis 1997. Danach ging ich dann nach Basel.

PIANONews: Dort studierten Sie bei Krystian Zimerman. Wie sind Sie mit ihm in Kontakt gekommen?

Paavali Jumppanen: Zwei Freunde in der Schweiz erzählten mir, als ich Lausanne besuchte, dass Krystian Zimerman kurz zuvor in der Akademie in Basel zu unterrichten begonnen hatte. Ich wollte nach meinem Examen in Helsinki weiterstudieren. Ich wusste aber nicht genau, wohin ich gehen sollte und bei wem ich studieren wollte. Also bewarb ich mich in Basel und kam in die Klasse von Zimerman. Dort habe ich dann mein Solisten-Diplom gemacht.

Repertoire-Moderne

PIANONews: Die Kontakte in Basel scheinen wichtig und beeinflussend für Sie gewesen zu sein, denn Sie begannen dann auch Cembalo, Orgel und Hammerflügel zu spielen …

Paavali Jumppanen: Ja, und ich spielte dann auch Boulez und all diese Dinge. Es war eine Augen öffnende Erfahrung, die Zeit in Basel. Wir mussten neben unserem Instrument auch ein anderes Fach studieren, es hätte auch etwas Theoretisches sein können. Ich aber wollte etwas Praktisches machen und so habe ich mich für Hammerflügel und Cembalo entschieden. Und dann noch für die Orgel. Und gerade das Orgelspiel wurde dann sehr ernsthaft, so dass ich wieder begonnen habe Orgel zu spielen und in diesem Jahr auch einige Orgel-Konzerte spiele. Das passierte alles in Basel. Ebenso der Kontakt zu Boulez’ Musik und auch zu Boulez selbst.

PIANONews: … durch Zimerman …

Paavali Jumppanen: Ja. Wie war das noch? [denkt nach] Ja, eines der ersten Werke, die ich mit Zimerman erarbeiten wollte, war die Sonate von Henri Dutilleux. Zimerman schlug vor, dass man Dutilleux doch kontaktieren könne, um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Das machten wir dann in Paris. Auf der Rückfahrt von Paris nach Basel haben wir dann die Idee entwickelt, dass man doch grundsätzlich auch andere noch lebende Komponisten aufsuchen könnte, um ihre Werke zu studieren. Seit dieser Zeit begann ich auch junge Komponisten unserer Zeit zu spielen, nicht nur die großen arrivierten Namen. Vor allem natürlich die jungen finnischen Komponisten meiner Generation. Ich hatte bis dahin gar nicht viel zeitgenössische Musik gespielt. Und es war Zimermans Idee, dass ich die zweite Sonate von Boulez lernen sollte. Und ich erinnere mich, dass ich auf der Fahrt sofort sagte, dass es unmöglich sei und ich das nicht machen wolle, da es nicht meine Musik sei. Ein Jahr später – als ich noch ein Jahr in der Akademie zu verbringen hatte – sagte er mir, dass er wolle, dass ich diese Sonate lerne und für meine Diplom-Prüfung spielen solle. Er machte klar, dass es die Zeit des Lebens ist, in der man genügend Raum hat, sich mit solch ei-nem Werk intensiv zu beschäftigen, da es allein schon so herausfordernd ist, den Notentext und das Werk selbst zu erlernen. Es war dann ein intensives Jahr des Studierens. Nach meinem Diplom fragte Zimerman Boulez, ob ich für ihn spielen könnte. Und so spielte ich die Sonate für ihn und erwartete, dass er viele Dinge zu sagen hätte. Zuvor hatte ich Pierre-Laurent Aimard getroffen, für den ich die Sonate in Köln spielte. Das war eine weitere wichtige Erfahrung für mich. Boulez selbst war sehr zufrieden mit meinem Spiel. Er mochte meinen Ansatz, da ich kein Neue-Musik-Spezialist war, sondern unvoreingenommen an dieses Werk heranging. Er sagte, dass ich gute Instinkte hätte. [er lacht] Und auch wenn ich später viele Werke von jungen finnischen Komponisten spielte, war ich niemals ein Neue-Musik-Spezialist und bin es auch heute nicht.

Beethoven-Spezialist?

PIANONews: Sie haben irgendwie Ihre Interessen aufgeteilt, könnte man meinen. Momentan sind Sie als Beethoven-Spezialist bekannt.

Paavali Jumppanen: Und genau so fühle ich mich auch nicht … [er lacht]

PIANONews: Aber Beethovens Werke sind so etwas wie ein Kernrepertoire für Sie, wenn man es genau betrachtet. Sie haben die Sonaten zyklisch oftmals gespielt, ebenso die Klavierkonzerte und Sie haben die Violin-Sonaten eingespielt. Also haben Sie sich schon sehr intensiv mit diesem Komponisten beschäftigt …

Paavali Jumppanen: Das ist richtig. Aber das war auch irgendwie wieder Zufall. Es gibt eine Konzertserie im „Isabella Stuart Gardner Museum“ in Boston, wo ich mehrfach in den frühen 2000er Jahren gespielt hatte und mich mit den Verantwortlichen dort anfreundete. Der künstlerische Leiter dort, Scott Nickrenz, bat mich, alle Beethoven-Sonaten zu spielen. Meine erste Reaktion war: Nein. Es erschien mir zu viel von einem Komponisten zu sein. Aber dann habe ich zwei Wochen später entschieden, diese Herausforderung und auch Chance anzunehmen. Viele Sonaten hatte ich bereits als Kind gespielt, denn Beethoven war neben Mozart und Mahler eines meiner ersten musikalischen Idole. Ich kannte die meisten Sonaten also. Dennoch, diese Zyklen dann live zu spielen, kam aufgrund dieser Gelegenheit. Nachdem ich das letzte Konzert gespielt hatte, zwei Jahre später, wollte ich Beethoven eigentlich erst einmal beiseitelegen. Aber dann spürte ich: Nein, ich will dies wieder machen. Also spielte ich sie wieder und wieder. Und erst nachdem ich drei oder vier Jahre diese Zyklen gespielt hatte, dachte ich daran, diesen Moment meiner Beschäftigung mit diesen Sonaten zu dokumentieren, also diese Sonaten einzuspielen. Ich hatte immens viel Zeit damit verbracht, gelesen, recherchiert und so fort. Also eine Aufnahme allein, um sie zu haben. Also kontaktierte ich den Tonmeister Stephan Flock, mit dem ich schon gearbeitet hatte, um die Boulez-Sonaten einzuspielen und andere Werke. Ich wollte die Beethoven-Sonaten also eigentlich nur aufnehmen und erst danach daran denken, wo und wie man sie herausbringen könnte. So begannen wir die Aufnahmen und nahmen alle Sonaten auf. Allerdings kam es dann schon früh zum Kontakt zu Ondine und es war bald schon klar, dass die Releases auf Ondine veröffentlicht werden.
Aber beide Dinge, die Arbeit mit Boulez und mit Beethoven, gaben mir einen bestimmten Zugang zu meiner Arbeit: einen Zugang eines Nicht-Spezialisten, einen Zugang, der frisch und unvorbelas-tet sein sollte. Es geht nur um das Interesse an der Musik, mehr und mehr darüber zu erfahren, über sie zu lesen … oder auch über sie schreiben und sie unterrichten. Gerade diese beiden Projekte haben meine Art zu arbeiten geformt, sie neu zu überdenken, sie neu zu gestalten. Die Idee ist nicht, jemand zu sein, der sagt: So sollte diese Musik gespielt werden. Oder nicht einmal, dass man sagt: Ich denke, so sollte sie gespielt werden. Es geht nur darum, was ich in diesem Moment über diese Musik denke, und was sie mir gerade sagt.

PIANONews: Aber Sie gehen schon einen Schritt weiter. Sie schreiben in Ihrem Blog auf Ihrer Website über die Dacapo-Wiederholungen in den Sonaten und wie Sie dazu stehen. Das ist doch schon sehr speziell, oder? Und so wie ich das gelesen habe, denken Sie, dass es so aufgeführt werden sollte, wie Sie dort schreiben.

Paavali Jumppanen: Das ist richtig, so mag es beim Leser ankommen … Dieser Text ist ein wenig lang und sehr speziell für einen Blog. [er lächelt] Es ist eine Erklärung, wie ich zu bestimmten Entscheidungen in den Sonaten gekommen bin. Ich möchte aber klarstellen – und versuche dies auch –, dass andere Künstler andere Entscheidungen aus unterschiedlichen Gründen getroffen haben. Einige haben klar kalkulierte Entscheidungen getroffen, andere haben es gefühlt. Normalerweise ist es ohnehin eine Kombination aus beiden Gründen, und ich denke, jede Entscheidung ist gültig. Ich wurde allerdings auch schon kritisiert, dass ich die Dacapo-Stellen spiele, um den Ornamentierungen mehr Raum zu geben. Ich wollte mit diesem Text also nur erklären, dass ich den Notentext so vorsichtig wie möglich gelesen habe. Wenn Beethoven schreibt „Dacapo senza repetitione“, dann wird also keine Wiederholung verlangt. Aber wenn er es nicht schreibt, dann sollten die Wiederholungen wohl stattfinden. Aber es gibt da noch eine weitere Ebene: Ich glaube nicht daran, dass wir Dinge tun sollten, da wir glauben, dass Beethoven sie genau so haben wollte. Den Notentext zu respektieren ist eine philosophische Frage. Ich will die Sonaten nicht so spielen, wie Beethoven sie uns diktiert. Ich schaue in den Notentext und lese ihn aufmerksam und will etwas hervorbringen, was für uns heute eine Bedeutung hat. Ich will nicht auf eine Weise spielen, da man es aufgrund von Interpretationsgeschichte so gespielt hat.

PIANONews: Das bedeutet, dass Sie sich frei machen wollen von Interpretations-Traditionen, richtig?

Das vollständige Interview lesen Sie in Ausgabe 1-2016.

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