Pianonews 03 / 2012

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Gegen die musikalische Globalisierung

David Greilsammer

Von: Carsten Dürer


Es ist eine bisher eher ungewöhnliche Lebensgeschichte, die der heute 34-jährige Pianist David Greilsammer vorzuweisen hat. Geboren in Jerusalem, erste Ausbildung dort, dann in New York an der Juilliard School und dann bei Richard Goode am Mannes College of Music. Doch seit 2009 ist er der Leiter des Genfer Kammerorchesters und kann als solcher vor allem mit durchdacht-eigenwilligen Programmatiken auf sich aufmerksam machen. Nachdem er schon für Vanguard in den USA und für Naïve in Frankreich Aufnahmen vorgelegt hat, die Werke von Mozart bis Alexandre Tansman umfassen, hat er nun einen Exklusiv-Vertrag mit Sony Classical unterzeichnet und legt – wieder einmal – eine Solo-CD mit barocken wie zeitgenössischen Werken vor. Warum interessiert Greilsammer so sehr diese scheinbare Kontradiktion? Ist es Überzeugung oder der Wille, Aufmerksamkeit zu erregen? Wir trafen den Pianisten-Dirigenten in Paris, wo er am La Gaîté Lyrique gleich eine ganze Serie von Konzerten mit seinem Schweizer Kammerorchester bestreitet.


David Greilsammer ist ein extrem schlanker, agiler Mann, der sich viele Gedanken über die Musikwelt gemacht hat. Das Gaîté Lyrique (Beschwingte Lyrik) ist einer, der zahllosen Kultureinrichtungen in Paris, die alles miteinander verbinden: Konzerte von Pop, HipHop, Jazz und eben auch Klassik. Doch vor allem ist es eine Art Museum, in dem es um das Experimentieren geht, um neue Strömungen. Schon das Gebäude strahlt dies aus – jedenfalls im Innern. Fast schon psychodelisch muten die Farb- und Materialauswahl an. Schreiendes Orange wechselt sich mit verspiegelten Wänden im Rautenmuster ab. An dem Wochenende im Januar, als wir ein Konzert besuchen, hat das Genfer Kammerorchester als Artist in Residence gleich fünf Konzerte, allerdings mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten und unterschiedlichen Musikern, die von Klezmer und Tango bis zur Elektronik reichen. Am Samstagabend allerdings gibt es ein eher „klassisches“ Konzert mit Werken von Bartók, Ralph Vaughn-Williams, Mozart und – typisch für Konzerte mit Greilsammer – einem modernen Werk „Klezmer’s Smile“ (in diesem Fall eine Auftragsarbeit von Sergueï Abir), einem Werk, das mit einem Solo-Klarinettisten den typischen Melodiewelten des Klezmer folgt. Das Publikum ist begeistert, ist zahlreich um 21 Uhr in das „Museum“ geströmt – und es ist jung. Es ist kein typisches Publikum klassischer Konzerte, die meisten Zuhörer sind zwischen 25 und 40 Jahre. Aufmerksam lauschen sie und fast schon andächtig. Greilsammer agiert vor seinem Orchester agil, versucht mit intensiven Handgesten dem Streicher-Ensemble die Klänge zu entlocken, die ihm im inneren Ohr vorschweben. Dann Mozarts Klavierkonzert KV 291, das „Jeunehomme“-Konzert, das er vom Flügel aus leitet. Nicht immer ist Greilsammer exakt, wenn es um die Noten geht, fügt kleine Dinge hinzu, verändert Kleinigkeiten. Man spürt: Für ihn ist solch ein Konzert eine Annäherung an die Idee aus der Mozart-Zeit, indem er aktiv und frei mit dem Werk umgeht. So ist es nur konsequent, dass er auch seine eigenen Kadenzen spielt, die ausnotiert sind, aber dennoch im Moment des Spiels einen deutlich improvisatorischen Zugriff erkennen lassen. Nicht alles ist überzeugend, wenn man es streng nach akademischen Maßstäben beurteilen will. Aber Greilsammer begeistert mit dem, was man da hört, und darum geht es ihm: um die Lebendigkeit und eine persönliche Aussage in der Musik.
Da David Greilsammer seit geraumer Zeit nicht weit entfernt vom Gaîté Lyrique lebt, ist es kein Wunder, dass viele seiner Freunde und Fans ins Konzert gekommen sind und ihn beglückwünschen. Es ist fast Mitternacht, als ich mich mit dem nun ruhig und etwas ermatteten Pianisten in ein Bistro setzte, um mich mit ihm zu unterhalten. In seiner Alltagskleidung wirkt der Lockenkopf deutlich jünger, als er ist. Bei einem Glas Rotwein frage ich ihn als Erstes nach seinem Werdegang.

Erste Erkenntnisse

Wie war das in Jerusalem, wo er geboren wurde? „Ich bin dort nicht nur geboren, sondern auch aufgewachsen“, lächelt er. Und dann irgendwann ging er auf die berühmte Rubin Academy of Music in Jerusalem. „Ich weiß nicht, ob die berühmt ist. Ich ging also auf diese Akademie, musste dann aber – wie jeder in Israel – zur Armee. Dann ging ich nach New York City, um an der Juilliard School zu studieren …“ War es für ihn ein bewusster Entschluss, speziell zu Yoheved Kaplinsky an die Juilliard School zu gehen, vielleicht, da sie auch aus Israel stammt? „Nein, es war so: Sie gab damals im Sommer bei den Tel Hai-Kursen im Norden von Israel Meisterkurse. Dort traf ich sie erstmals. Zuerst hatte sie ohnehin zu viele Studenten. Im zweiten Jahr, als ich dort teilnahm, fragte sie mich, ob ich nicht Interesse daran hätte, an Juilliard zu studieren. Das war kurz bevor ich zur Armee musste. Sie schlug vor, dass ich doch – wenn ich die Möglichkeit haben würde – in einem Urlaub von der Armee nach New York zu kommen, um zu sehen, wie weit ich dann gekommen sein würde. Und wenn ich weit genug gekommen wäre, könnte ich sicherlich nach meinem Dienst in der Armee auch bei ihr studieren. Ich arbeitete also sehr hart und sparte alle meine freien Tage, um dann Urlaub für New York zu bekommen.“
Er denkt kurz nach und erklärt dann, dass die Zeit bei der Armee sehr schwierig für ihn war: „Man will eigentlich – wie jeder, der ein Instrument lernt – mit der Musik fortfahren. Ich hatte noch Glück, da ich irgendwann regelmäßig nach Hause konnte, um zu üben, aber in der Grundausbildung war dies nicht möglich.“ Und so bedeutete die Armeezeit für ihn auch eine besondere Erfahrung: „Das ganze Leben bis dahin hatte man Musik gemacht, die gesamte Kinder- und Jugendzeit durch. Und es war normal, gehörte zum Leben und plötzlich muss man zur Armee und kann keine Musik mehr ausüben. Und in diesem Moment stellt man sich sehr wichtige Fragen … Kann ich ohne Musik leben, kann ich ohne sie auskommen? Natürlich wusste ich schon früh, dass die Musik genau das ist, was ich immer machen will. Aber plötzlich realisierte ich, dass ich wirklich nicht ohne die Musik leben kann. Es hört sich an wie ein dummes Klischee … Die Leute sagen immer, man kann nur das wirklich schätzen, was einem weggenommen wird. Aber genau das passierte mir. So war die Armee in dieser Hinsicht eine interessante Zeit für mich.“
Natürlich musste Greilsammer auch erst einmal die drei Jahre Armeezeit beenden, aber dann „flog ich sofort nach New York und wurde an Juilliard angenommen und studierte bei Yoheved Klaplinsky“, erklärt er. Die Musikakademie in Tel Aviv war für ihn keine Alternative. „Ich wollte irgendwie auch weggehen, wollte etwas anderes sehen. Kaplinsky war die richtige Lehrerin zur richtigen Zeit für mich. Zu dieser Zeit begann ich auch meine eigenen Ideen zur Musik und meine eigenen Programme zu entwickeln. Ich wollte Dinge in einer besonderen Art tun, und ich hatte das Gefühl, dass ich diese Ideen zu diesem Zeitpunkt nicht in Israel umsetzen konnte. Natürlich war die Musikakademie in Tel Aviv von einem recht hohen Niveau, aber ich wollte etwas vollkommen anderes. Ich wollte auch andere Fähigkeiten entwickeln, als man sie mir dort hätte beibringen können. Ich wollte dorthin, wo es jeden Tag Jazz-Musik gab, wo man Musik aus aller Welt hören kann. Es waren also mehrere Dinge gleichzeitig: Ich wollte an Juilliard, wollte bei Kaplinsky studieren, wollte in New York sein. Aber ich wollte auch weg von eingefahrenen Ausbildungsmethoden.“
Was konnte Yoheved Kaplinsky David Greilsammer mit seinen weitgefächerten Ideen beibringen? Er lächelt: „Nun, das Wichtigste, was sie mir einmal sagte – und was sie natürlich zu jedem ihrer Studenten sagt – und was wirklich bedeutend für meine Entwicklung als Musiker war, war Folgendes: Jede Idee, die du hast und zu deinem Spiel hinzufügen willst – vor allen anderen Dingen: denke daran, wie du dies mit Klang erreichen kannst. Denke nicht daran, wie du es mit Tempo, mit Artikulation erreichen kannst, sondern denke nur an den Klang. Und ich denke, diese Idee ist wundervoll. Es ist doch so: Man steckt seine Emotionen in die Musik und denkt nicht daran, ob man es schneller oder mit anderer Phrasierung spielen soll. Nein, man denkt: Welchen Klang habe ich für diese Idee im Kopf und wie kann ich ihn realisieren? Das hat mir neue Türen geöffnet und es war bereits in mir, dieses Interesse an Klang. Aber wenn einem ein Lehrer das sagt, ist es für einen umso bedeutsamer.“ Greilsammer denkt, dass diese Richtung des Denkens bestimmte Traditionen hat und sich entsprechend bei bestimmten Pianisten wiederfindet. Beispielsweise nennt er Barenboim, der nicht so sehr die Tempi bedenkt, aber den Klang zu finden versucht. Auch in Barenboims Dirigieren sieht er mehr die Forderung nach Klang im Orchester als das genaue Anzeigen von Tempi. Diese Idee des Klangs ist heute oberstes Ziel für Greilsammer: „Darum geht es doch heute: Man muss versuchen seinen eigenen, ganz persönlichen Klang zu finden, der einen von anderen Musikern unterscheidet. Natürlich gibt es viele andere Aspekte in der Musik. Aber was unterscheidet ein Orchester, einen Pianisten oder ein Streichquartett von anderen? Nur der Klang. Natürlich kann man sagen, dass ein Barockorchester, das auf historischen Instrumenten spielt, einen Händel schneller spielt als ein Sinfonieorchester. Aber das Sinfonieorchester könnte es ja auch schneller spielen. Also geht es nicht darum.“ Alle anderen Dinge, wie Tempi oder Phrasierungen, kommen dann natürlich hinzu, da man ja auf der Suche nach einem bestimmten Klang ist.

Das komplette Porträt können Sie in Ausgabe 3-2012 lesen.

 

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