Pianonews 01 / 2003

Kampf für die künstlerische Ästhetik

Der Pianist und Pädagoge Dimitri Bashkirow

 

Von: Carsten Dürer


Mittlerweile ist er eine Institution, ein Lehrer durch dessen Schule Pianisten wie Arcadi Volodos, Nikolai Demidenko oder Edgar Nebolsin gingen. Dmitri Bashkirow ist mit 71 Jahren eine lebende Legende, die aktiv ist wie fast nie zuvor. Sein pianistisches Können steht außer Frage. Am liebsten spielt er die großen Werke der Klassik oder Romantik. Doch mittlerweile ist er mehr als Professor und Lehrer von Meisterkursen bekannt, denn als Pianist. Am Rande eines Konzertes und Meisterkurses im Steinway & Sons-Haus Heinersdorff in Düsseldorf trafen wir ihn bei einem seiner Schüler, dem Pianisten und Professor für Klavier, Boris Bloch, in Essen, um uns mit ihm über seine Ansichten zum Unterrichten und über sein Leben zu unterhalten.



Studiert hat Dmitri Bashkirow in Moskau, wie könnte es anders sein. Bei so renommierten Namen wie Anastasia Wirssaladse und noch fünf Jahre bei dem legendären Alexander Goldenweiser. 1955 gewann er in Paris den Marguerite Long Wettbewerb und startete damit, damals mit 24 Jahren, seine internationale Karriere. Das war sein einziger Wettbewerb. Und heute: Haben sich die Wettbewerbe seither verändert? "Ich hasse Wettbewerbe. Damals wollte die russische Regierung, dass ich nach diesem Wettbewerbsgewinn in Paris weitere Wettbewerbe spiele, den Tschaikowsky-Wettbewerb beispielsweise. Ich sagte: niemals. Einmal habe ich Glück gehabt. Das waren aber andere Zeiten." Und wie genau haben sich die Zeiten geändert? "Ach wissen Sie, heute sind die Studenten, die an Wettbewerben teilnehmen so verbissen. Sie kennen alle Jurymitglieder, kennen die Geschichte des Wettbewerbs und so weiter. Ich bin damals einfach hingefahren und dachte: entweder es klappt oder nicht." Noch später erinnerten sich andere Teilnehmer dieses Wettbewerbs, dass allein Bashkirow auch vor der Bekanntgabe der Preise vollkommen entspannt war. "Für mich war nur eines wichtig: dass in der Jury eine meiner Lieblings-Pianistinnen saß: Annie Fischer. Das war für mich wirklich wichtig."

Heute schickt er aber seine Studenten selbst zu den verhassten Wettbewerben. Dies sieht er als "traurige Notwendigkeit". "Ich habe fast zeitgleich mit dem Spiel und mit dem Unterrichten begonnen. Mehr als 40 Jahre mache ich das nun. Und viele meiner Schüler spielen auf der ganzen Welt. Aber ich kann sagen, dass es nur zwei auf die internationale Bühne ohne Wettbewerbsgewinn geschafft haben." Hier spricht er Arcadi Volodos und Jonathan Gilad. Und wie haben diese beiden das geschafft. "Ich kann also sagen, ich liebe Wettbewerbe nicht, aber ich kann nicht sagen: Das machst Du nicht. Denn es ist heute absolut notwendig, wenn man sich einen Namen machen möchte." Nun sitzt er aber auch in vielen Wettbewerbs-Jurys. Wie kann er das mit seiner Abneigung vereinbaren? "Das gehört nun einmal zu meinem Beruf als Lehrer. Es ist Teil meiner Arbeit." Dennoch muss er zugeben, dass es manches Mal interessant, meistens aber doch recht langweilig ist, an diesen Wettbewerben teilzunehmen. Aber er findet auch einen anderen Grund für die Teilnahme an Jurys: "Ich treffe dort auch Kollegen. Es ist also so: Wenn ich zu einer Jury eingeladen werden, dann frage ich: Wer ist denn noch in der Jury. Und wenn dann Namen fallen von Kollegen, die ich sehr gerne wieder treffe, oder solchen, die ich gerne kennen lernen will, dann nehme ich teil. Wenn ich weiß, dass da Menschen zu treffen sind, die mir als Musiker oder Lehrer unsympathisch sind, dann sage ich meist, dass ich zu beschäftigt bin." Ein durchaus integrer Grundsatz, da der Spaß an der Teilnahme in Jurys doch in jedem Fall gegeben sein sollte und die gute Stimmung innerhalb des Beurteilungsgremiums sich durchaus positiv auf die gesamte Wettbewerbsstimmung niederschlägt. Heute unterrichtet er an der Hochschule für Musik Königin Sofia in Madrid. Diese Hochschule ist private und wird von einer Stiftung getragen. So erhält jeder Schüler, der dort angenommen wird, ein Vollstipendium, mit freiem Wohnen und Unterrichten. Vergleich wäre dies vielleicht mit dem Curtis Institute in Philadephia (USA). Bashkirow ist der einzige Professor für Klavier und seit Anbeginn an dieser Institution seit 1991. Er unterrichtet nicht mehr als acht Schüler. Dabei teilt sich seine Schülerschaft zur Hälfte in spanische und in solche aus dem internationalen Ausland. "Mehr als acht Schüler dürfen es nicht sein, da jeder einzelne Schüler viel Zeit benötigt. Viele Schüler zu unterrichten, wie dies einige meiner Kollegen machen, ist nicht sinnvoll." Allerdings ist es auch bei ihm so, dass er mit einem Assistenten arbeitet, der Erst im vergangenen Jahr haben zwei seiner Schüler wieder internationale Preise gewonnen: Stanislav Yudenich den Van Cliburn Wettbewerb und Kirill Gerstein den Artur Rubinstein Wettbewerb. Anscheinend zahlt sich das Studium bei Bashkirow aus. Was macht die Besonderheit seines Unterrichtens aus? "Als erstes ist für mich wichtig: Ich muss nicht für Morgen unterrichten, sondern für die Zukunft, für das Denken in 20 oder 30 Jahren. Vielleicht spielen deshalb so viele Schüler von mir so lange auf internationaler Ebene. Zum anderen muss ich sehr streng sein, muss aufzeigen, das ist möglich, das ist nicht möglich. Aber niemals darf ich als Beispiel zeigen, wie ich spiele. Ich kann nur ein Kriterium vorgeben. Dann kann jeder Schüler seine Individualität realisieren, in diesen aufgezeigten Grenzen von Ästhetik und so weiter." Heute ist sein Name als Professor, also als Lehrer bekannter, als als Pianist. Stört ihn das? "Nein, das ist normal. Ich habe schon immer meine Zeit geteilt, ich habe zur Hälfte konzertiert und zur Hälfte unterrichtet. Heute habe ich so viel Arbeit als Lehrer, dass das normal ist. Heute bin ich zudem schon recht alt. Das heißt, dass ich die Möglichkeit habe, entweder das Unterrichten aufzugeben, um mich auf die Konzerte zu konzentrieren, die ich noch spielen kann, oder ich teile meine Kräfte auf beides auf." Heute spielt er noch ca. 25 Konzerte im Jahr. "Am liebsten allerdings kombiniere ich Konzerte mit Meisterkursen. Im Sommer halte ich dann viele Meisterkurse ab." Als Schüler Goldenweisers trägt Bashkirow die Tradition der russischen Klavierschule in sich. Er sieht das sogar noch puristischer als viele andere: "Goldenweiser war eigentlich der letzte Vertreter der wahren russischen Klavierschule. Heinrich Neuhaus beispielsweise war nicht mehr die echte russische Schule, denn er studierte in Wien oder Berlin. Goldenweiser hingegen war noch befreundet mit Medtner und Rachmaninoff, hat noch bei Siloti studiert. Das war die echte russische Klavierschule. Und meine Zeit war sozusagen eine Übergangszeit zwischen der traditionellen zur modernen Klavierschule." Heute gilt er selbst als Vertreter einer neuen, einer eigenen Klavierschule, der in Madrid. Wie sieht er es, hat er es in so relativ kurzer Zeit geschafft, eine eigene kleine Tradition und Klavierschule zu begründen? "Ich sage immer, dass die russische Schule heute nicht so ist, wie noch vor hundert oder auch vor 40 Jahren. Diese Tradition ist heute sehr stark mit anderen Methoden vermischt." Einiges sieht er dabei positiv, einiges negativ. Dabei stört ihn am meisten der "Praktizismus", wie er es nennt. "Sie denken nicht so viel über Musik nach, sie denken mehr über ihren Platz im Leben, über Wettbewerbe, Preise, über Geld und Konzerte und Publicity nach. Selbstverständlich haben wir auch heute noch viele interessante Persönlichkeiten im pianistischen Leben, aber ich habe den Eindruck, dass es nicht mehr so viele sind wie früher", sagt er nicht ohne Wehmut. Dennoch scheint Bashkirow immer noch mitten im Leben zu stehen, merkt man ihm als Mensch ebenso wenig das Alter an, wie als Pianist. Immer wieder wird erwähnt, dass sein Spiel eher einem jungen Künstler ähnelt, als einem Mann dieses Alters. Er erkennt: "Die Perfektion und die Meisterschaft der Pianisten heute ist höher als damals, nur mit der Seele bei ihnen hat man oftmals seine Probleme." Er gibt zu, dass der Grund auch in dem weltweit höheren Ausbildungsniveau liegt und fügt darüber hinaus hinzu: "Das ganze Leben ist heute mehr auf das Praktische ausgerichtet und weniger auf das Geistige. Du Musik kann da nicht isoliert und alleine stehen. Wir müssen als Lehrer versuchen, dieses geistige Kriterium bei allem Praktischen ein bisschen zu pflegen, damit davon ein bisschen erhalten bleibt." Ansonsten befürchtet er, dass in 20 oder 30 Jahren alle Pianisten wie Maschinen, absolut gleichgeschaltet spielen würden. "Wir müssen kämpfen und dem Trend zum rein Praktischen in der Welt entgegen wirken. Kunst muss immer ein ästhetisches Kriterium behalten, das ist auch für das Publikum wichtig." Das ist eine klare Aussage.

Doch zurück zu Bashkirows Werdegang. Wie kam er eigentlich aus Russland in den Westen? "Also das ist ein grundsätzlicher Fehler, dass die Menschen immer behaupten, ich sei "im Westen". Als ich das Angebot in Madrid erhielt, war mein Sohn noch sehr jung, gerade 10 Jahre alt. Selbstverständlich konnte ich mit dieser Anstellung in Madrid meine Familie nicht in Moskau lassen, auch wenn ich dort immer meine Wohnung behalten habe. Jetzt sind wir wieder in Moskau." Das bedeutet für ihn allerdings nur immer eine Woche, denn den Rest der Zeit im Jahr ist er weltweit unterwegs. Als seine Tochter, die bekannte Pianistin Elena Bashkirowa, mit ihrem damaligen Ehemann, Gidon Kremer, in den Westen emigrierte, wurde er als Vater von der russischen Regierung für achte Jahre mit einem Ausreiseverbot belegt. So konnte er erst wieder seinen Namen in die Welt tragen, als Perestroika und Glasnost zum Zuge kamen. Bald schon hatte er wieder zahlreiche Einladungen und letztendlich dann das Angebot in Madrid, dort etwas von Anfang an mit aufzubauen.

Plötzlich springt er auf, will mir eine CD mit alten Aufnahmen von ihm geben, die er erst kürzlich frei gegeben hat. Konzerte von Beethoven, Mozart und Ravel (Konzert für die linke Hand) sind darauf enthalten. Er mag diese Aufnahmen aus den 60-er Jahren. Diese mag er, aber: "Ich liebe Aufnahmen nicht sonderlich. Daher geben ich Ihnen diese Aufnahmen, diese mag ich. Es gibt noch etliche andere, aber über diese kann ich dann nur sagen: Sie sind korrekt gespielt, aber insgesamt recht steril." In Russland hat er viele Aufnahmen einspielt, mehr als 30 Schallplatten mit einem breiten Repertoire, die heute meist nicht mehr erhältlich sind. Nach der Bewunderung für andere Pianisten befragt, sagt er, dass es viele seien, will aber am liebsten keine Namen nennen. Erst später im Gespräch nennt er dann doch Radu Lupu, den er sehr bewundert. Dass jeder Künstler ausnahmslos auch Schwächen hat, gesteht er ein, sagt sogar: "Wenn ein Künstler von Anfang an und immer alles gut spielt, kann es sich eigentlich nicht um eine große Künstlerpersönlichkeit handeln." Da nennt er Glenn Gould, der nicht alles genial gespielt hat, aber das, was er gut gespielt hat, hat er genial gespielt, was ihm für immer einen Platz im musikalischen Leben sichert.

Ohne Frage ist Bashkirow einer der wichtigsten Lehrer unserer Tage und ein großartiger Pianist, den man gehört haben sollte. Heute sind wir in einer Situation wie er bei Goldenweiser: Wir stehen an der Schwelle einer Zeit, in der noch die alten, herausragenden Persönlichkeiten des musikalischen Lebens mit einer direkten Verbindung zur Tradition leben und zu erleben sind, die aber immer seltener werden.

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