Pianonews 02 / 2013

cover 2 2013

Inhalt Bestellen 6er ePaper-Abo  

Sie können diese Ausgabe auch als ePaper lesen.
Nach erfolgreicher Aktivierung können Sie das ePapers an dieser Stelle lesen oder das PDF herunterladen.

einzelne Ausgabe als ePaper aktivieren...

Die Sprache der Komponisten entdecken

Yulianna Avdeeva

Von: Carsten Dürer

Als im Chopin-Gedenkjahr 2010 die russische Pianistin Yulianna Avdeeva den ersten Preis im internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann, kannten nur wenige, in die internationale Wettbewerbsszene eingeweihte Kenner diese Pianistin. Immerhin hatte sie auch schon zuvor im Internationalen Musikwettbewerb in Genf und im Paderewski-Wettbewerb in Polen zweite Preise erspielen können. Doch mit dem Gewinn des 1. Preises im renommiertesten aller Klavierwettbewerbe, dem in Warschau, waren plötzlich alle Augen auf sie gerichtet. Es hagelte Kritik an der Jury-Entscheidung in Warschau, da viele andere Kandidaten als Sieger bevorzugt hätten. Ein unglaublicher Druck, der da auf der 1985 in Moskau geborenen Pianistin lastete. Seither ist sie nicht allzu häufig in Deutschland aufgetreten, so schien es. Wie es ihr in den vergangenen zweieinhalb Jahren seit dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs ergangen ist, erfuhren wir in einem Gespräch mit der Pianistin.


Am Vorabend unseres Treffens spielt sie in der mittlerweile sehr renommierten Reihe „Junge Pianisten Elite“ des „Museums Baden“ in Solingen ein wunderbares Programm mit Bachs Französischer Ouvertüre in h-Moll, Ravels „Gaspard de la nuit“ und Schumanns 1. Klaviersonate. Sie ist gewachsen an den Aufgaben der vergangenen Jahre, ist weitaus persönlicher in ihrer Aussagekraft, weiß Rubati und Akzente geschickt zu setzen und benutzt das linke Pedal sehr bewusst als Klangfarbe. Zwei Wochen zuvor spielte sie Chopins e-Moll-Konzert im wunderbaren Konzertsaal der Historischen Stadthalle Wuppertal. „Was für ein wunderbarer Saal“, schwärmt sie nach dem Konzert in Solingen, als ich sie darauf anspreche. „Und ich habe dieses Konzert fast anderthalb Jahre nicht mehr gespielt“, wundert sie sich selbst, als sie darüber nachdenkt. Sie ist also doch in Deutschland zugegen. Yulianna Avdeeva scheint ruhig und stark zugleich, ist sich ihres Könnens und der Aufgaben, die ihr übertragen werden, bewusst.
Als wir uns am folgenden Morgen in ihrem Hotel zusammensetzen, wirkt sie ruhig, wählt die Antworten auf die Fragen sicher und gezielt. Ihr Deutsch ist fast perfekt. Seit dreieinhalb Jahren lebt sie in München, doch schon ihre Ausbildung an der Musikhochschule in Zürich hat ihr die deutsche Sprache nähergebracht.

Entwicklungen

Mit fünf Jahren kam sie an die renommierte Gnessin-Spezialschule für Musik in ihrer Heimatstadt Moskau. Wie war das am Anfang, denn auch dort musste man ja schon eine Aufnahmeprüfung bestehen? „Meine Eltern sind zwar keine professionellen Musiker, aber leidenschaftliche Musikliebhaber. Mein Vater hat eine große Schallplattensammlung und so war Musik einfach immer präsent. Wir hatten zudem ein Klavier zu Hause und irgendwann bemerkten meine Eltern, dass ich immer wieder einmal etwas auf dem Klavier nachspielte, was ich auf der Schallplatte, die gerade gelaufen war, gehört hatte. So dachten sie sich, dass ich Lehrern vorspielen sollte, die ja mit ihrer Erfahrung Genaueres zu meinem Talent sagen könnten. So kam ich zur Gnessin-Spezialmusikschule, wurde dort aufgenommen und habe bis zu meinem Abschluss, den ich mit 18 Jahren dort gemacht habe, bei Elena Ivanova studiert. Sie war meine erste Lehrerin und es ist eine sehr tiefe Verbindung zu ihr entstanden, die für mich sehr wichtig ist. Sie hat mir dadurch viel gegeben, vor allem die Leidenschaft für die Musik, die Suche nach Neuem. Sie suchte immer etwas in der Musik, was es für mich auch als Kind besonders spannend gemacht hat, weiterzumachen. Wenn ich in Moskau bin, besuche ich sie immer und spiele ihr vor. Sie sagt immer sehr ehrlich, was sie denkt – und das hilft mir sehr.“ Die Entwicklung war recht stetig bei Yulianna Avdeeva in der Gnessin-Schule, denn immerhin muss man ja jedes halbe Jahr eine „kleine Prüfung“, wie sie erzählt, mit einem bestimmten Programm ablegen. „Ich habe von meinem Zuhause große Hilfe erhalten, denn meine Großmutter spielte auch ein wenig Klavier und hat mit mir zu Hause geübt. Zudem war meine Mutter in all meinen Klavierstunden dabei und hat sich genau notiert, was die Lehrerin gesagt hat, und mit mir dann genau so geübt, wie die Lehrerin es vorgeschlagen hat. Das war wichtig, denn wenn man noch so jung ist, ist es schwierig zu begreifen, worum es in Bezug auf Handhaltung und so weiter wirklich geht.“ Eine Stunde benötigte die kleine Yulianna mit ihrer Mutter, um zur Musikschule zu kommen. Als sie neun oder 10 Jahre alt war, fuhr sie dann diese Strecke alleine mit der U-Bahn in Moskau. Eine recht weite Strecke … „Ja, aber es war toll, denn dadurch hatte ich immer viel Zeit, Bücher zu lesen. Als ich diese Strecke nicht mehr zu fahren hatte, fehlte mir sogar etwas, denn dann musste man zusätzlich Zeit einplanen und nehmen, um zu lesen.“ Heute geht es wieder besser, da sie wieder mehr reist, meine ich. Sie lacht. Gab es denn in der Gnessin-Schule auch schon so etwas wie einen gewissen Druck, den man aus der Klavierklasse oder durch die Prüfungen zu spüren bekam? „Es gab 20 Pianisten nur in meiner Klasse. Jeder wusste, was der andere kann oder nicht kann. Druck? Nein, eigentlich nicht. Mir war klar: Wenn ich spielen will, dann muss ich üben. Und mit 11 oder 12 Jahren wurde mir auch klar, dass ich unbedingt auf der Bühne spielen will. Dafür muss ich eine bestimmte Zeit mit dem Instrument verbringen. Ob ich die Beste in meiner Klasse bin, war mir eigentlich nicht wichtig, solange ich spürte, dass ich mich meinem Ziel näherte. Wenn man auf die Bühne will, dann muss man zu einer bestimmten Uhrzeit das Beste, was man geben kann, spielen können. Für manche war es sicherlich ein Druck, für mich nicht, für mich war es eine naturgegebene Vorbereitung, die zum Leben gehört. Es hat mir immer Spaß gemacht! Der Moment, wenn man auf der Bühne ist, hat einem immer wieder bewusst gemacht, warum man leidet, wenn etwas nicht klappt und so weiter.“
Sie sagt klar, dass die Lust, auf der Bühne für andere zu spielen, schon früh bei ihr entstand. „Mit sechs hatte ich meinen ersten Auftritt und spielte zwei kleine Stücke von Tschaikowsky in einem Museum. Und das Gefühl, was ich damals empfand, hat sich gehalten und es ist nicht vergleichbar mit irgendetwas anderem, was man im Leben empfinden kann: Dass man ohne Worte, also mit der Musik anderer, Menschen begeistern kann, mit ihnen kommunizieren kann, ist einfach faszinierend. Das ist es, warum ich das mache, was ich mache.“ Es ist „eine Erfüllung“ für sie, fügt sie noch an. Nach der Gnessin-Schule ging sie nach Zürich zu Konstantin Scherbakov, der sie mit seiner Art, Dinge in der Musik zu finden, und mit seiner Kenntnis auch abseitig gelegenen Repertoires begeistert hat. Der Kontakt zu Scherbakov kam aber auf eine andere Art und Weise zustande, als man es gewohnt ist: „Da es in Russland etliche Stiftungen gibt, die sich darum bemühen, Kindern die Möglichkeit zu bieten, auf der ganzen Welt Konzerte zu spielen, hatte ich das Glück, schon während meiner Schulzeit viel Konzerterfahrung gesammelt zu haben. Das war immens hilfreich. So besuchte ich auch einen Meisterkurs von Scherbakov und es faszinierte mich.“ Und auch in der Schweiz kann man recht gut Deutsch lernen, meint sie und lächelt. „Ich wollte die deutsche Sprache lernen, da ich denke, dass die Musik sehr stark mit der Sprache verbunden ist. Und so wollte ich die Sprache von Beethoven, Schubert und Schumann, Mozart und Bach und vielen anderen kennen lernen. Die Sprache ist immer verbunden mit der Musik des jeweiligen Komponisten. Und für mich ist es hilfreich, wenn man die Melodik einer Sprache versteht und kennen lernt.“ Das, was andere erst viel später erkennen, war Yulianna Avdeeva schon früh klar und sie wollte tiefer einsteigen.
Aber Zürich war für die junge Pianistin auch aus anderen Gründen eine besondere Zeit. „Zürich hat mir die Bekanntschaft mit historischen Instrumenten ermöglicht. In Zürich hat Jochen Sonnleitner unterrichtet, der mir diese Instrumente nähergebracht hat. Das war natürlich das Cembalo, aber vor allem der Hammerflügel. Das hat mir Türen und neue Welten eröffnet.“ Sie nahm Stunden bei Sonnleitner, „leider nicht so regelmäßig, wie ich gewollt hätte“, meint sie. In Konzerten spielt sie diese Art von Instrumenten allerdings eher selten. Aber 2011 und 2012 spielte sie in Warschau beim Chopin Festival beide Klavierkonzerte dieses polnischen Komponisten auf dem historischen Erard-Flügel von Chopin. Und das mit Orchestern, die sich auf historische Aufführungspraxis spezialisiert haben. „Das war eine ganz besondere Erfahrung, da man anders musiziert, die Bühne ist kleiner, das Orchester ist kleiner besetzt, die Atmosphäre ist sehr inspirierend, und eigentlich ist es so, als ob man Kammermusik spielt.“ Kommt man den Werken durch diese historischen Instrumente auch näher? „Auf eine besondere Art ja. Diese Instrumente sind halt komplett anders und wenn man überlegt, dass Chopin nur den Klang von diesen Instrumenten im Kopf hatte, ist das schon eigenartig. Man setzt sich zwangsläufig stärker mit Dingen wie Artikulation, dem Pedalspiel, mit der Dynamik und den Rubati auseinander. Die Nachklingzeit ist ja viel kürzer bei solchen Instrumenten, man muss dadurch die Musik anders fühlen, damit die Musik nicht plötzlich arm und trocken klingt. Ich muss also mehr mit Klangfarben arbeiten, ich muss eine Agogik suchen, die die reichhaltigen Obertöne, die diese Instrumente haben, zur Geltung bringt. Es ist eine Bereicherung, denn so entdeckt man Dinge, die man auch auf einem modernen Instrument durchaus anwenden kann.“ Dass diese Erfahrungen nicht vollkommen übertragbar auf den modernen Konzertflügel sind, ist ihr klar. „Ja, aber man beginnt halt auch Notentexte anders zu lesen. Es hat ja immer einen Grund, warum Chopin hier ein langes Pedalspiel vorschreibt und an einer anderen Stelle ein kurzes.“ Ab und zu fährt sie noch nach Zürich, um mit Sonnleitner Werke zu erarbeiten, wie beispielsweise zuletzt Bachs Ouvertüre, die sie einen Abend zuvor spielte. Kein Wunder, dass sie die Terrassendynamik in Bachs Werk anders spielt, als es oftmals auf modernen Flügeln erklingt.
Nach dem Studium in Zürich war sie noch in der Accademia Pianistica am Comer See, von der sie sagt: „Ja, dorthin kehre ich auch jetzt immer noch gelegentlich zurück. Dieser Ort ist wie eine ‚Tankstelle’ für mich, die mir neue Kraft gibt.“ War dieser Ort noch einmal eine Stufe mehr als die Studienabschlüsse? „Das war das Ziel: So viel wie möglich von vollkommen unterschiedlichen Musikern zu erfahren. Man konnte auch gezielt unterschiedliches Repertoire mit den wichtigen Interpreten erarbeiten, mit Peter Frankl Bartók, mit Boris Berman Prokofiew, mit Bashkirow Ravel und so weiter. Das verhalf zu großartigen Erkenntnissen. Dieser Ort gibt einem viel Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Man bekommt nicht vorgeschrieben, dass man ein Werk auf eine bestimmte Art zu spielen hat, sondern auch die Professoren freuen sich, wenn man interessante Ideen gemeinsam entwickelt.“

Wettbewerbserfahrungen

Bevor Yulianna Avdeeva zum Chopin-Wettbewerb antrat, war sie ja schon in anderen Wettbewerben erfolgreich. War der Chopin-Wettbewerb aber ein langfristiges Ziel, das sie sich gesetzt hatte? Immerhin findet er ja nur alle fünf Jahre statt. „Ich habe mir früher niemals vorgestellt, dass ich irgendwann einmal den Chopin-Wettbewerb spielen würde. Dieser Wettbewerb ist einmalig, da man halt nur die Werke von Chopin spielt. Das benötigt natürlich viel Zeit. Das ist die absolut direkte Auseinandersetzung mit der Musik, mit seiner Person, seiner Sprache. Ich interessiere mich natürlich für unglaublich unterschiedliches Repertoire, ich kann also nicht sagen, dass ich nur eine bestimmte Richtung mag. Das Klavierrepertoire ist so reich, dass ich mich niemals einschränken will, daher spiele ich von Barock bis zur Moderne Klavierwerke. Aber es ist eine einmalige Erfahrung, wenn man sich auf eine Person und ihr Werk konzentriert. Ich habe versucht, mich in Chopins Zeit zu versetzen, habe viele Bücher aus seiner Zeit gelesen, habe Gemälde angeschaut, die auch dabei helfen, sich in seine Ideenwelt hineinzuversetzen. Es bleibt zwar vage, aber ich hatte das Gefühl, dass ich langsam seine Musik begreife. Mit jedem Tag beginnt man dann diese Musik auch mehr zu lieben, man findet jeden Tag Neues in Werken, die man schon tausend Mal gehört hat. Es ist eine Reise, die immer neue Wege geht. Das ist faszinierend.“ Das gilt aber für jeden Komponisten, mit dem man sich länger so intensiv auseinandersetzt, gibt sie zu. „Aber Chopin bleibt doch einzigartig, denn er ist nicht leicht vergleichbar“, erklärt sie.
Der Warschauer Wettbewerb 2010 war natürlich nochmals ein besonderes Ereignis, da er im Chopin-Gedenkjahr stattfand … Wie hat sie den Wettbewerb selbst erlebt? War es eine Erfahrung, die man mit anderen Wettbewerben überhaupt vergleichen kann? „Diese Erfahrung kann man mit nichts anderem vergleichen, finde ich“, lacht sie. „Was in diesem Wettbewerb so besonders war: Jede Ecke war mit Chopin gefüllt. Zudem liebt die polnische Bevölkerung Chopin sehr, ob nun in Warschau, oder in einem kleinen Dorf in Polen. Und das war sehr inspirierend, es gab Kraft und die Freude, dass man in diesem Land nun diese Musik mit den Menschen teilen kann. Ansonsten war der Wettbewerb sehr lang“, lacht sie. „Aber ich habe wenig von den Umständen des Wettbewerbs mitbekommen. Das Wetter war zum Glück gut und so bin ich viel spazieren gegangen und hatte das Gefühl, dass an den vielen historischen Orten, an denen ich vorbeikam, irgendwie Chopin mit anwesend war. Man fühlt eine positive Spannung. Dass zudem die Säle von der ersten Runde an so voll waren, war ein Segen, da man das Gefühl von einem Fest hatte, wenigstens aber von richtigen Konzerten.“ Die Aufregung blieb dadurch zum Teil aus, sagt Avdeeva, auch wenn man nach jeder Runde offiziell von Journalisten interviewt wurde und man beständig beobachtet wurde von Kameras. Aber: „Ich kann das gut ausblenden, es hat keinen negativen Einfluss auf mein Spiel.“

Das vollständige Porträt lesen Sie in PIANONews 2-2013

Bestellen

Bestellen Sie sich die Printausgabe der PIANONews ins Haus. Als Abonnement für 6 Ausgaben oder auch als Einzelhefte.

Abonnement Einzelheft

ePapers

Lesen Sie die PIANONews gleich hier und jetzt online. Im 6er Abonnement oder als Einzelexemplar.

ePaper kaufen Infos

Newsletter abonnieren!

Emailaddresse:


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.