Pianonews 01 /2008

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Leseprobe:

Weltklassik am Klavier!

Jeden Tag im Jahr ein Klavierabend?

Von: Carsten Dürer

Was wäre, wenn jede Kleinstadt sich eine Klavierkonzert-Reihe leisten könnte, wenn dort die gesamte junge Elite aus aller Welt auftritt, die jungen Pianisten, die gerade dabei sind, sich an die Weltspitze zu spielen? Was wäre, wenn keiner in der Stadt selbst sich um die Programme, die Verhandlungen mit den Künstlern, die Logistik kümmern müsste, sondern nur den Raum und einen adäquaten Flügel zur Verfügung stellen würde? Und dann noch jeden Monat ein Konzert veranstalten könnte? Das wäre wunderbar, werden jetzt etliche ausrufen. Das Bemerkenswerteste: Genau diese Art von Klavierkonzerten bietet „Weltklassik am Klavier!" an.



Die Initiatorin Kathrin Haarstick hat damit einen Traum verwirklicht: Sie will am liebsten jeden Tag ein Klavierkonzert hören, einem jungen Pianisten die Möglichkeit geben, sich vor einem Publikum zu präsentieren, das nicht allein auf die großen Namen achtet, sondern vor allem gute Klaviermusik auf einem hohen Niveau hören will. Im Jahre 2000 startete sie mit „Weltklassik am Klavier!“ ihren Traum – heute sind es bereits acht Veranstaltungsorte, die unter diesem Motto einmal im Monat mit einem Konzert von der Organisation der ehemaligen Industrie-Managerin profitieren. Wir sprachen mit Kathrin Haarstick und erfuhren, dass sie noch viel weiter kommen will, dass sie noch viele Städte und Gemeinden in Deutschland sucht, um ihren Traum auszubauen.
 

Die Gründung „Weltklassik am Klavier!“

Kathrin Haarsticks Wesen nimmt einen sofort ein, sie ist lebendig, findet Ruhe, auch wenn sie beständig Kontakt zur Welt der jungen Pianisten, zu Veranstaltungsorten und Personen hält, die ihr helfen, „Weltklassik am Klavier!“ auszubauen und am Leben zu halten. Nach jahrelangem Leben in einer führenden Position in der Industrie und dem damit verbundenen Stress, um die Welt zu reisen, beschloss die gebürtige Hannoveranerin 2000, sich eine Scheune in Rysum, in Friesland zu kaufen. „Ich habe im Jahr 2000 meinen ersten Lebensabschnitt beendet, habe mir gesagt, dass ich nicht mehr als Managerin in der Welt rumfliegen, im Ausland wohnen und 80 Stunden in der Woche arbeiten will. Ich wollte etwas Sinnvolles tun, was mir auch noch Spaß macht. So habe ich mir eine Scheune in Rysum gekauft, einen Gulfhof, wie man dies in Friesland nennt. Da stellte ich mein Klavier hinein. Eine Nachbarin fragte dann, ob ich ihrer Tochter nicht Klavierunterricht geben könne. Und da dachte ich plötzlich: Ein Konzert hier zu veranstalten, wäre doch auch einmal ganz schön. Ich schrieb damals an die Hochschule in Hannover – noch vollkommen ahnungslos, dass dies mittlerweile eine der führenden Hochschulen für Klavierausbildung in Deutschland ist, sondern nur weil ich aus Hannover stamme – und fragte dort, ob man mit mir nicht ‚Weltklassik Klavier’ gründen wolle. Einer meldete sich: Artur Pacewicz. So gab es ein Konzert, es war ein Erfolg. Und dann machten wir das so drei bis vier Jahre mit 10 bis 12 Konzerten im Jahr. Immer samstags, immer um 17 Uhr, kinderfreundlich in der Uhrzeit. Und Kinder haben immer freien Eintritt.“ Sie selbst wuchs mit klassischer Musik auf, vor allem mit Wagner-Opern, die „von morgens bis abends“ liefen, wie sie sich erinnert.

Vor einem Jahr erst machte sie in Lahr im Schwarzwald eine zweite Reihe unter denselben Vorgaben auf. „Auch diese Reihe ging gut los und die Presse schrieb: ‚Es ist so, als habe diese Stadt auf diese Konzertreihe gewartet.’ Das finde ich besonders schön.“ Durch den Kontakt zur Hochschule in Hannover fand sie auch bald zwei Schirmherren der gesamten Idee: die beiden Professoren Vladimir Krajnev und Bernd Goetzke. Diese beiden schicken nicht nur ihre besten Schüler und erfolgreichen Wettbewerbsgewinner in die Reihen, sondern sind auch bei vielen anderen Fragen Haarsticks Ansprechpartner. „Wenn sich bei mir ein Pianist bewirbt – was mittlerweile natürlich sehr, sehr oft geschieht, sende ich die Unterlagen an Professor Goetzke, der mich dann berät, ob der jeweilige das Niveau der Konzerte hat, wie wir uns das vorstellen.“ Das heißt nun nicht, dass ausschließlich Studenten dieser beiden Lehrer oder ausschließlich aus der Hochschule Hannover auftreten, auch wenn dies sicherlich auch aufgrund der Qualität der Studenten aus dieser Institution den Grundstock bildet.

Bald schon hatte sie die Idee, die Reihen auch an anderen Orten anzubieten, nach dem Motto „If you can do it in Rysum, you can make it everywhere“, wie sie sagt. „Ich dachte mir dann: Jetzt mach ich das mal richtig. Anfang 2007 setzte ich mich also hin und versuchte, diese Reihe auch an anderen Orten zu installieren.“ Kathrin Haarstick sprach mit nahezu 100 Konzerthallen in Deutschland, mit einem eher frustrierenden Ergebnis: „Ich glaube, dass das Problem dieser Low Budget-Konzerte ist – 15 Euro Eintrittspreis ist beispielsweise für einen Pianisten wie Denys Proshayev einfach wenig, aber es war ja von Anfang an auf Breitenwirkung ausgelegt, da es natürlich nicht am Geld scheitern soll, wenn jemand klassische Musik hören will –, dass man von diesem Geld keinen Konzertsaal mieten kann. Das bedeutet: Ich brauche die Konzerthalle umsonst. Oder ich brauche einen Sponsor, der mir die Kosten übernimmt. Ob dies nun ein Verein ist, eine Privatperson oder eine Firma ist, ist ja vollkommen egal. Immerhin haben wir neben Rysum und Lahr in 2007 noch Oldenburg, Hildesheim, Stadtoldendorf, Bad Rehburg und im kommenden Jahr Gehrden.“ Das ist der Stand vom September 2007. 2008 sollen noch weitere Orte hinzugekommen. Bislang acht Veranstaltungsorte, an denen seither jeden Monat ein Klavierkonzert stattfindet. Eine beachtliche Zahl an Konzerten. Zu viele Konzerte? Nein, meint Haarstick: „Wir haben viele Wiederholungstäter“, lacht sie, „wer Klaviermusik liebt und einmal zu unseren Konzerten gekommen ist, der kommt auch wieder.“ Dass sie selbst nicht mehr alle Konzerte selbst vor Ort betreuen kann, versteht sich von selbst. „Ich habe sogenannte ‚Paten’ in be- stimmten Städten, also Personen, die sich vor Ort um die Konzerte kümmern, die die Besucher begrüßen, die Pianisten betreuen. Der persönliche Kontakt zum Publikum ist einfach auch ganz wichtig, die Anonymität ist out, wir wollen wieder Menschen treffen und vor uns haben“, sagt sie vehement.

Pianisten und Organisation

Dass es auf einmal mit dieser Anzahl an unterschiedlichen Veranstaltungsorten auch für die Pianisten mehr Möglichkeiten von Auftritten gibt, versteht sich von selbst. Wenn es funktioniert, dann können die Jungpianisten in acht verschiedenen Spielstätten ihre Programme spielen. Wie das finanziell aussieht? Nun, 40 Prozent der Eintrittseinnahmen gehen an den Pianisten als Honorar. Da die Säle zwischen 100 und 200 Plätze haben, kommt so ein stattliches Sümmchen zusammen. „Es ist auch eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Pianisten. Wenn ein Pianist ein Programm vorbereitet, dann kann er dieses Programm acht Mal bei uns spielen. Viel wichtiger als die Reputation, bei ‚Weltklassik am Klavier!’ zu spielen, ist die Chance für die Pianisten, vor Publikum zu spielen.“

Programmideen

Kathrin Haarstick glaubt daran, dass die klassische Musik heutzutage falsch präsentiert wird, dass man das Publikum anders ansprechen muss, will man es für die klassische Musik und hier speziell die Klaviermusik begeistern. „Konzerte müssen ein Thema haben. Man kann zwar sagen ‚Weltklassik am Klavier!’, dann wird es mit einer großen Anzahl an Konzerten – hoffentlich irgendwann – zu einem Markennamen. Und dann braucht man aber auch Untertitel. Und diese sollen ein Thema oder ein bekanntes Stück ausdrücken. Das ist einfach sehr wichtig für die Menschen, die klassische Musik hören: dass sie etwas wiedererkennen, ein Thema erkennen, das sie interessiert. Zyklen sind ebenso möglich, beispielsweise alle Klavierkonzerte von Beethoven, Paraphrasen von Liszt, alle Mozart-Sonaten oder Ähnliches. Ein Thema sollte irgendwie auch ans Herz gehen. Nicht alle Besucher von Klassikkonzerten sind vorgebildet, die möchten einfach auch mal wieder die ‚Mondschein-Sonate’ hören, also bieten wir ihnen genau dies.“ Wiederholungen schließt sie für eine lange Zeit aus, auch wenn sie mittlerweile über 80 Konzerte pro Jahr in den acht genannten Städten organisiert. „Das Klassikrepertoire ist so groß, dass Wiederholungen sich lange Zeit ausschließen. Wenn es dann aber einmal zu Wiederholungen kommt, dann finden die meisten Besucher das sehr spannend, das gleiche Stück einmal von einem anderen Pianisten interpretiert zu hören.“ Natürlich nimmt Kathrin Haarstick Einfluss auf die Programme: „Ich schreibe die Pianisten an und frage sie nach einem Programm und einem Thema, unter dem das Programm präsentiert werden kann. Dass es dabei auch einmal zu Diskussionen kommen kann, ist klar.“ Sie ist bei aller Organisation nicht rigoros, liebt die meisten jungen Pianisten, die sie an vielen Orten selbst zu betreuen versucht. In Rysum schlafen sie dann auch in der Scheune, in der die Konzerte selbst veranstaltet werden. „Ich liebe diese jungen Pianisten, die dann bis in die Nacht spielen, die Spaß haben, bei mir zu sein, die mir Tipps für mein eigenes eher amateurhaftes Spiel geben.“ Man spürt: Es ist eine gegenseitige Liebe von Pianisten und der Organisatorin und Gründerin dieser wunderbaren Idee, denn letztendlich sind alle daran interessiert, dem Publikum Klaviermusik nahezubringen.

Vielfach sind gleich zwei Pianisten für einen Abend eingeladen, dann werden nicht zwangsläufig Duos gespielt, sondern auch Klavierkonzerte, mit der Orchesterbegleitung als Klavierauszug am zweiten Instrument. Das kommt sehr gut an beim Publikum.

Aussichten

Kathrin Haarstick will ihre Idee von „Weltklassik am Klavier!“ ausweiten: „Warum sollen es nicht 30 oder sogar 100 Konzerte im Monat in Deutschland sein? Es gibt genug Orte, es gibt genug Flügel, an denen Pianisten spielen können. Aber der kostenlose öffentliche Bereich ist verführerisch und schön, denn dann müssen die Pianisten von ihrem Honorar nichts abgeben, aber ich kann nicht ins Risiko gehen, ich kann nichts investieren, da ich nichts habe. Aber die öffentlichen Institutionen sind natürlich schwer für solch eine Idee zu gewinnen. Und daher fühle ich mich momentan so ein bisschen am Scheideweg: Auf der einen Seite kann ich fragen: Wer kennt noch einen Raum, wer würde sich freuen, wenn es in dieser Stadt eine Reihe dieser Art gäbe, wo sucht man nach etwas Kontinuierlichen. Da gibt es allerdings viele Widerstände. Sie geraten beispielsweise an ein Schloss, das Sie und ich von unseren Steuern finanziert haben, das von unseren Steuern renoviert wurde; dort ist ein Steinway-Flügel, den wir bezahlt haben, und darin sitzt eine Städtische Musikschule, die von öffentlicher Hand getragen wird. Dann bietet man diese Konzertreihe an und hört, dass die Klavierlehrer Angst haben, da sie dann nicht mehr vor den Besuchern leuchten können, wenn die jungen Pianisten aus aller Welt dort auftreten.“ Haarstick sucht dennoch weiter nach Räumen, die man ihr kostenfrei zur Verfügung stellt, oder die von einem Sponsor gemietet und „Weltklassik am Klavier!“ zur Verfügung gestellt werden, als Reihe für eine Sponsorenperson oder -firma. Was kann man mehr verlangen, als dass man eine eigene Reihe erhält, wenn man einen Raum – wie auch immer – zur Verfügung stellt? Denn selbst wenn es mehr und mehr Orte werden sollten, will Kathrin Haarstick die Organisation in ihren Händen behalten, will mit ihren Schirmherren die Qualität sichern, denn auch sie weiß: „Wenn ein Konzert einmal nicht auf einem bestimmten Niveau stattfindet, dann verliert man die Besucher.“

Kathrin Haarstick ist sich sicher: „Es gibt sicher Hunderte von Menschen in Deutschland, die ihre eigene Klavierreihe haben wollen, die nur noch nichts von uns wissen. Dann könnte es heißen: ‚Weltklassik am Klavier! präsentiert von ...’ Ansonsten mache ich ja komplett alles, ich organisiere das Programm, mache die Werbung, organisiere auch den Raum, wenn nötig, und sende nur abschließend eine Rechnung für die Miete.“

Wenn alles einmal größer und größer wird, was passiert dann? „Das Ganze soll relativ unabhängig von mir laufen. Deshalb weiß ich nicht, ob ich immer weiter alles organisieren werde. Zumindest habe ich schon eine Person im Auge, die alles weiterführen kann, wenn ich einmal tot umfalle“, grinst sie.

„Weltklassik am Klavier!“ ist eine wunderbare Idee, die in die Tat umgesetzt wurde, mit viel Individualismus und Liebe. Man kann nur hoffen, dass es in Zukunft mehr und mehr Sponsoren, Veran- stalter, Förderer gibt, die diese Idee ausbauen helfen, denn Pianisten gibt es genug, hervorragende zudem, das zeigen allein schon die vielen Studenten, die an deutschen Hochschulen ein Konzertexamen ablegen, die dann aber nur unterrichten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, obwohl sie dem Publikum etwas zu geben und musikalisch zu sagen hätten.

Kontakt: Kathrin Haarstick

www.Weltklassik.de

Tel.: 0049 / 175 / 16 16 779

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